Kommentar zum Russland-Konflikt

Die Anerkennung der beiden ostukrainischen Regime durch Russland als „unabhängige Staaten“ ist an sich schon grotesk. Die Entsendung von russischen Streitkräften auf ukrainisches Gebiet ist ein klarer Rechtsbruch und war von langer Hand gezielt vorbereitet, wie die leeren europäischen Gasspeicher und der monatelange Truppenaufmarsch zeigen. Ob es in den letzten Wochen überhaupt einen realen Verhandlungsspielraum gab, kann bezweifelt werden. Man mag über die Historie, die angeblichen Verabredungen der 1990er Jahre, das Verhältnis von Nato und Russland und einiges mehr diskutieren. Aber einen Anlass für das aktuelle Vorgehen Russlands gibt es einfach nicht. Es ist eine vollkommen unnötige Eskalation, die viele Menschenleben kosten kann. Dass die Bewohner*innen dieses Planeten aus egal welchen Gründen immer die gleichen Fehler machen, macht traurig und wütend.

Es bleibt zu hoffen, dass die russischen Streitkräfte an der Waffenstillstandslinie Halt machen, das wäre jetzt noch der Optimalfall. Sollten sie darüber hinaus ukrainische Gebiete besetzen, wird die Ukraine kaum eine andere Wahl haben, als in einen offenen militärischen Konflikt mit Russland zu gehen. Dann wiederum wäre der glimpflichste Ausgang, dass sich nach kurzen Kämpfen eine neue Waffenstillstandslinie an den Grenzen der beiden Oblasten Luhansk und Donezk bildet. Das ginge nur, wenn Putin nicht vollkommen außer Rand und Band und ein Krieg zwischenzeitlich nicht total außer Kontrolle geraten ist. Meine Hoffnungen liegen jetzt auf einer besonnenen Reaktion der Ukraine, ausgerechnet dem militärisch schwächeren Staat. Und dieses Land kann im Moment nur verlieren; die Frage ist, wie hoch und wie viele Menschen sterben müssen. Traurig und wütend.

Dabei dürfen dennoch, trotz aller Entwicklungen, die diplomatischen Drähte zu Russland nicht komplett abreißen. Sie werden je nach Verlauf des Konflikts/Krieges noch gebraucht, um vielleicht doch noch viel Schlimmeres verhüten zu können. Jedes Menschenleben wäre es wert.

Wie dem auch sei: Die Nato-Staaten und die Europäische Union werden jetzt nicht militärisch, aber mit massiven Sanktionen antworten, eventuell in Stufe je nach weiterem Verlauf. Diese Sanktionen werden Russland härter treffen als uns, in Russland aber natürlich vor allem die einfache Bevölkerung und nicht die Bonzen, die es verdient hätten. Aber es kann eine Herausforderung auch für uns alle werden, mit Auswirkungen auf Handel, Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Finanzsektor, Energiepreise. Die Entwicklungen haben mittelfristig das Potenzial, auch in der schon durch die Corona-Pandemie aufgewühlten Bevölkerung für zunehmenden Unfrieden zu sorgen.

Wichtig ist, dass sich die deutschen und europäischen Gesellschaften nicht spalten lassen. Wir wissen um den Wert des Friedens, können auch streiten und diskutieren, aber sollten in grundlegenden Fragen beisammenstehen. Um dies zu unterstützen, müssen die Regierungen – auch die Deutsche – jetzt je nach dem weiteren Verlauf der Krise auch eine starke innenpolitische Reaktion zeigen, mit Maßnahmen für den Arbeitsmarkt, Industrie und Handel, den Energiesektor. Das alles, um auf die jetzt nicht unwahrscheinlichen bevorstehenden massiven sozioökonomischen Auswirkungen stark steuernd reagieren zu können, wenn es sein muss. Notstand ist das nicht, die Grundrechte, demokratischen Mechanismen und Entscheidungswege gelten. Man muss allerdings, es läuft einem schaudernd über den Rücken, so eine Art gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Zivilschutzplan und ein entsprechendes Maßnahmenportfolio zügig angehen.

(Stand: 21.02.2022, 23:55 Uhr)