Die Bilder eines umfassenden großen Krieges in Europa sind verstörend und beängstigend. Unsere Solidarität gilt allen Bürgerinnen und Bürgern der Ukraine, die grundlos durch Russland angegriffen wurden.
Putin hat sich verspekuliert. Er hat die Leistungsfähigkeit seiner Streitkräfte überschätzt. Er hat den Widerstandswillen der Bevölkerung der Ukraine und ihrer Führung unterschätzt. Der ukrainische Präsident Selenskyj wächst politisch und persönlich über sich hinaus. Putin hat ebenso die Einigkeit und Bereitschaft der NATO, EU und weiterer Staaten unterschätzt, sich klar zu positionieren und das aggressive Verhalten Russland massiv zu sanktionieren.
Es ist gut, wenn in Deutschland und der ganzen Welt Demonstrationen stattfinden, damit auch die jeweiligen politischen Führungen kontinuierlich an die notwendige Solidarität mit der Ukraine erinnert werden. Dies, um Sanktionen gemeinsam vorzunehmen und durchzustehen, und die Bereitschaft für die Aufnahme von Flüchtenden hoch zu halten.
Dabei gilt: Eine starke Rhetorik ist notwendig, in eine aggressive Rhetorik sollte niemand verfallen. In der Ukraine sterben Menschen. Einzelne ukrainische Zivilist*innen haben es so wenig verdient wie russische oder ukrainische Soldat*innen. Im Fokus muss das Ende des Krieges stehen, der Frieden.
Ob jetzt Waffenlieferungen an die Ukraine richtig sind, das ist eine schwere Abwägung und ich gestehe offen zu, dass ich dabei nicht entschieden bin. Aber aktuell spricht für mich persönlich doch etwas mehr dafür, dass dies mehr schaden als nützen könnte. Denn damit werden die NATO- und EU-Staaten zu indirekten Kriegsbeteiligten, was Putins Erzählung innerhalb Russlands von der westlichen Bedrohung ungewollt befördern könnte. Umgekehrt dürfte der tatsächliche militärische Nutzen der zugesagten Waffen gering sein. Denn die russische Armee ist und bleibt der ukrainischen hoch überlegen. Ein Sieg der Ukraine wäre nur über einen monatelangen Abnutzungskrieg möglich, der einen riesigen Blutzoll auf beiden Seiten fordern würde und die Gefahr noch weitergehender Eskalation birgt.
Es ist wenig wahrscheinlich, dass sich Putin, ist der internationale Druck nur groß genug, zurückzieht und es wäre alles wie vor dem Krieg. Und Putin stürzen kann nur die eigene Bevölkerung oder eine Rest-Vernunft innerhalb des russischen Militärs. Putins Motiv mag in historische Narrative gekleidet sein, aber Alexei Nawalnys Aussage verdient ebenso Beachtung (Quelle: BBC): “This war between Russia and Ukraine was unleashed to cover up the theft from Russian citizens and divert their attention from problems that exist inside the country.” Robert Habeck hat das in der Bundestagsdebatte vom Sonntag ähnlich beschrieben. Und wenn das ebenso ernst zu nehmende Motive sind, dann zeigt das eine schwierige Mischung, denn Putin braucht eine Exit-Option.
Die Situation ist kritisch, die Sanktionen werden in Russland massiv wirken. Sie werden mittelfristig die Kritik an Putin befördern und können so einen Wandel einleiten. Aber aktuell hat Putin Russland im Griff. Und so kritischer die ökonomische Situation innerhalb des Landes wird, umso aggressiver wird er auftreten, nach innen und nach außen.
Will man aber Frieden und wägt man die aktuelle Situation, werden ein Waffenstillstand und darauf folgend Verhandlungen vermutlich nur mit Kompromissen möglich sein. Noch ist man vielleicht nicht so weit, aber darauf muss man sich ebenso vorbereiten. Diese Annahme ist frustrierend, weil sie bedeuten würde, dass Putin damit, wenn lange nicht alle, mit seiner Aktion dann doch bestimmte Ziele erreichen könnte. Aber es ist abzuwägen gegen das Leid und den Tod tausender Menschen.
In einer solchen Verhandlungssituation werden zuerst die Ukraine, aber auch die NATO- und EU-Partner dann gemeinsam definieren müssen, wann man wo nachgibt, und wo nicht. Wie gesagt: Vielleicht noch nicht, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Punkt bald erreicht wird. Hier müsste Einigkeit hergestellt werden, um mit Putin wieder eine kommunikative Ebene zu finden, zumindest aber den Bürger*innen Russlands klar zu zeigen, was die Optionen sind, dass Frieden möglich ist, um auch den innerstaatlichen Druck auf Putin zu erhöhen.
Dabei sollte in Abwägung der Szenarien ernsthaft in Erwägung gezogen werden, dass die Ukraine auf die Krim verzichtet und im Donbass mittelfristig unter Aufsicht der OSZE ein Referendum über die territoriale Zugehörigkeit abgehalten wird, dessen Ergebnis gefolgt wird. Ebenso wäre zu definieren, dass die Bündnisoptionen der Ukraine limitiert werden, insbesondere kein NATO-Beitritt erfolgt. Die Gegenleistung Russlands wäre ein Waffenstillstand, Rückzug aller Truppen und die offizielle Anerkennung und Garantie der Souveränität der Ukraine und ihrer Regierung – letzteres sollte man nicht unterschätzen, denn Putin hat die letzten Wochen genau das Gegenteil öffentlich verbreitet. NATO und EU müssten dann einen Teil der Sanktionen zurückfahren.
Das wäre wie beschrieben frustrierend. Aber wäre das Appeasement? Nicht wirklich. Die Ukraine befindet sich bereits im Krieg. Und Putin wird aus diesem Krieg bereits jetzt gelernt haben, dass die Welt sich nicht so dreht wie es ihm gefällt. Wenn er so aus seine Nummer herauskäme, dann wäre er vermutlich auf längere Zeit kuriert, und ewig wird er auch nicht leben. Aber jetzt geht es darum, viele Leben zu retten.
Nicht zur Disposition der westlichen Gemeinschaft steht ein veränderter grundsätzlicher politischer Fokus, mit einer Meta-Ebene: Worauf verwenden wir als Gemeinschaft unsere Kraft? Das war der innenpolitische Kern der gestrigen Debatte im Deutschen Bundestag und er verdient ebenso Beachtung. Zu den Bedrohungen Klimawandel, soziale Spaltung (national und global) tritt jetzt die Angst um den Frieden hinzu. Der Druck auf die Gesellschaft nimmt weiter zu. Die politischen Entscheidungsträger*innen müssen an den Gemeinsinn appellieren und diesen durch konkrete soziale Politik unterstützen, um klar zu machen: Diese Veränderung ist notwendig und wir werden auch innerhalb unseres Landes dabei niemanden übergehen.
Dass die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr erhöht werden muss, steht außer Frage. Ob Geld das Problem war und ist? Natürlich müssen Verteidigungsausgaben kritisch überprüft und eventuell erhöht werden. Doch ebenso wichtig erscheint mir, ausdrücklich als außenstehender, der kein Verteidigungsexperte ist, die Bürokratie und Selbstverwaltungsmentalität in unseren Streitkräften abzubauen und sie intern agiler aufzustellen. Der Fokus muss dabei ausdrücklich auf der Verteidigung im Rahmen der NATO und der EU liegen, über entsprechende Abwehrsysteme.
Der Ruf nach agilerem Handeln gilt im Übrigen nicht nur für die Bundeswehr selbst, sondern für den Staat insgesamt. Hier muss ich den grundlegenden Ansatz von Finanzminister Lindner schon unterstützen, auch wenn ich vieles in der Umsetzung nicht teilen dürfte. Die Frage ist: Wie finanzieren wir die vielen Herausforderungen und wie schaffen wir sie schnell?
Zunächst müssen wir kurzfristig den Energieverbrauch massiv herunterfahren, mit einem riesigen Kraftakt. Und, ganz ehrlich, wenn wir schon wieder ganz neu denken, wollen wir nicht vielleicht doch wieder über das Tempolimit oder die Reduzierung von Kurzstreckenflügen reden? Jedenfalls werden die nächsten ein, zwei Jahre auf dem Energiesektor wahrscheinlich extrem hart. Mittelfristiges Ziel ist eine stärkere industrielle Basis, basierend auf Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft, um eine möglichst unabhängige ökonomische Stärke herzustellen, welche den Transformationsprozess dauerhaft finanziert. Dafür braucht es genauso massive Aus- und Weiterbildung in den ökonomischen Zukunftsfeldern.
Sowohl kurz- wie auch mittel- und langfristige Ziele zügig zu erreichen, geht aber nur mit klaren Gesetzen, eindeutigen Prioritäten und schnellen Verfahren. Der Ampel-Koalitionsvertrag birgt von seiner Grundtonalität her dafür ein großes Potenzial! Aber das wird auch für meine GRÜNE Partei eine Herausforderung. Unsere Rolle muss dabei weiterhin sein, hohe ökologische und soziale Standards und eine nachhaltige Transformation unserer Ökonomie hinzubekommen, ohne dass das die bestehenden bürokratischen Verkrustungen noch verstärkt werden. Dabei geht es nicht darum, Demokratie und Rechtsstaat auszuhebeln. Es kann jedoch nicht sein, dass wir unsere limitierte Energie in immer riesigere Verwaltungsapparate, Zuständigkeitsstreitigkeiten und aufwändigere Verfahren pusten, die am Ende kaum den nötigen Erfolg bringen, sondern eher lähmen. Auch die EU könnte dabei einen erheblichen Beitrag leisten, Europa insgesamt handlungsfähiger zu machen.
Nur so werden wir es schaffen, dass der veränderte Fokus bei der Verteidigung nicht die sozialen und ökologischen Zielsetzungen schleichend aushebelt. Und das ist unendlich wichtig.