1 Monat nach der Flut – Diskussionspapier zu Schlussfolgerungen aus der Hochwasser-Katastrophe Juli 2021

Vorbemerkung

Eine Katastrophe wie den Starkregen und folgendes Hochwasser Mitte Juli 2021 aufzuarbeiten, geht nicht in einem Text. Es müssen Arbeitsgruppen und Kommissionen eingerichtet werden, die sich mit Ursachen, Risikomanagement, Neu-Aufbau usw. beschäftigen. Dies wird nur einem Dialog verschiedener Akteure und Verantwortlichen und auch mit breiter Beteiligung der betroffenen Kommunen mit ihren Bürger*innen erfolgreich gelingen. Und dann müssen die Empfehlungen auch umgesetzt werden.

Die folgenden Thesen haben daher nicht den Anspruch, einen Monat nach der Katastrophe vollständig alle Aspekte aufzugreifen oder die letztgültige Wahrheit festzustellen. Es ist vielmehr als Debattenbeitrag gemeint zu einer wichtigen Diskussion, die jetzt geführt werden muss. Und wenn jemand meint, es würden Aspekte fehlen oder Schlussfolgerungen seien nicht richtig, dann sind diejenigen herzlich eingeladen, ihre Meinung dazu kundzutun.

Extreme

Das Unwetter am 14.07.2021 war ein absolut extremes Ereignis und einer Qualität, die so kaum präsent ist: Flusshochwasser, meistens ausgelöst durch flächenhafte Niederschläge oder Schneeschmelze in großen Einzugsgebieten, sind lange bekannt. Starkregen, meistens in kleinen Gebieten und besonders heftig, sind in den letzten Jahren stärker in den Fokus gerückt. Aber der flächenhafte Starkregen vom 14.07. und davor hat eine ganz eigene Qualität.

Bereits die Tage vorher hatte es viel geregnet. Flüsse hatten einen höheren Basis-Wasserstand. Böden waren schon gut mit Wasser gesättigt als dann der große Regen mit immensen Niederschlags-Mengen in relativ kurzer Zeit kam.

Die Abfluss-Daten der betroffenen Flüsse zeigten entsprechend Wasserstände, weit über die bisher beobachteten hinaus. Hier nur zwei Beispiele:

  • In Erftstadt-Bliesheim stand der Pegel am 15.07.2021 im Maximum bei 4,11 m. „Normal“ sind ca. 50 cm. (Quelle: LANUV NRW)
  • Am Pegel Altenahr war der bisherige erfasste Maximalwert bei 3,71 m und lag am 15.07.2021 dann bei ca. 7,00 m. (Quelle: Hochwassermeldedienst Rheinland-Pfalz)

Es handelt sich also um ein Ereignis, das so extrem ist, dass damit in dieser Form niemand rechnen konnte. Auch die Schäden hätten nicht vollständig verhindert werden können und wahrscheinlich wäre es selbst bei optimalen Abläufen im Katastrophenschutz auch zu Toten gekommen.

Risikobewusstsein und Risikomanagement dürfen nicht den Fehler machen, zu suggerieren, man könne die Natur und jedes extreme Ereignis vollständig beherrschen. Diese Messlatte kann nur gerissen werden. Gleichzeitig redet diese Erkenntnis aber auch nicht der Resignation das Wort, indem man schlussfolgerte, man könne sowieso nichts tun. Erst wenn wir Dimensionen einordnen und Risiken bewerten, können wir damit zukünftig besser umgehen.

Dies wird deshalb wichtiger, weil es immer mehr Indizien dafür gibt, dass solche extremen Wetterlagen durch den menschengemachten Klimawandel zunehmen und damit auch das Risiko für solche oder ähnliche Ereignisse steigt.

Vorhersage

Die Zuverlässigkeit der Niederschlagsvorhersagen in einem Zeithorizont von 3 – 4 Tagen ist mittlerweile ziemlich gut. Man weiß also schon vorher relativ gut, was „von oben“ herunterkommen wird, im Übrigen aber nicht immer wo. Das und die Kombination von Pegel-Messungen macht die Vorhersage mittelfristiger Hochwasserereignisse an größeren Flüssen mittlerweile relativ einfach.

Was aber bei kurzfristigen Starkregen in kleinen Fluss-Einzugsgebieten „unten“ genau (!) passiert, ist weiter extrem schwer vorherzusagen. Denn wohin Wasser in welcher Intensität fließt, ist sehr kompliziert. Wo regnet es wann wie viel? Und wie ist dort jeweils die Topographie, die Vegetation und die Sättigung des Bodens? Welche Folgen haben Rückstau oder Verklausungen (Verstopfung von Durchlässen)? Das flächendeckend zu modellieren, ist selbst in der heutigen Zeit nicht einfach.

Jedoch gibt es die Modell-Ansätze, die aus kurzfristigen Niederschlägen anhand bestimmter Parameter Abflüsse und Überflutungen prognostizieren. Diese scheinen aber nie über örtlich begrenzte Modellprojekte hinausgekommen zu sein. Ein Grund mag im bürokratischen Deutschland die Zuständigkeit sein: Wetter macht der Bund (DWD), Wasser machen die Bundesländer. Und wenn die einen für Niederschlag, die anderen für Abfluss zuständig sind, dann verhindert sicher manche bürokratische Schranke die Erarbeitung flächendeckender Niederschlags-Abfluss-Modelle. Das muss sich ändern!

Wir brauchen klare Zuständigkeiten, gesicherte Finanzierung, organisierte Gewinnung und Bereitstellung von Daten (z.B. dichtes Meldenetz für Pegel-Überschreitungen auch an kleinen Gewässern). Die Digitalisierung bietet unglaubliche Chancen für funktionierende permanente Niederschlags-Abfluss-Modelle und damit die Prognose von extremen Überflutungen. Dieses Potenzial kann genutzt werden, wenn einfach nutzbare und zugängliche Daten-Hubs entstehen.

Risiko-Einschätzung

Risiken durch Hochwasser und Starkregen sind bekannt. Die Hochwasser-Karten, entstanden auf Grundlage der Hochwasserrisiko-Management-Richtlinie der EU, sind für viele Fließgewässer erstellt und im Internet frei einsehbar. Dabei gibt es sowohl die Gefahrenkarten, welche die Überflutungen zeigen wie auch die Risikokarten, welche zeigen, wer bzw. welche Objekte je nach Überflutung gefährdet sind. Theoretisch ist man also gut vorbereitet.

Allerdings: Selbst in der höchsten Kategorie der Gefahrenkarten („extrem“) wurden Werte zugrunde gelegt, welche die Katastrophe Mitte Juli 2021 weit übertroffen hat. Die Karten sind also nun flächendeckend zu aktualisieren. Zudem muss geprüft werden, ob weitere kleinere Gewässer in die Kartierung aufgenommen werden sollten.

Ebenso gibt es für die Überflutungen im kleineren Bereich, unabhängig von Flüssen oder Bächen, Starkregen-Gefahrenkarten. Im Gegensatz zu den Hochwasserkarten sind diese nicht verpflichtend zu erstellen. Es macht Sinn, wenn Kommunen diese nach und nach erstellen und mit ihren Infrastrukturplanungen zur Abwasserbeseitigung und städtebaulichen Planung verknüpfen.

Warnung

Die Warnungen vor der Katastrophe waren da. Der Wetterdienst warnte deutlich vorher in der höchsten Stufe.

Es scheint so, als habe die Landesregierung aus den Warnungen nicht die erforderlichen Schlüsse gezogen. Die zuständigen Katastrophenschutzbehörden, die Kreise und kreisfreien Städte, nahmen in Teilen die Warnungen nicht so ernst wie es erforderlich gewesen wäre. Das mag sogar etwas verständlich sein, denn die Dimension des Unwetters war so riesig, dass man mit dem, was da wirklich kam, so nicht rechnen konnte.

Es wurde kommunal zumindest nicht flächendeckend so vorgewarnt, wie es aufgrund der Vorhersagen angebracht gewesen wäre. Es wurden auch nicht alle Informationskanäle bespielt, z.B. in den sozialen Medien. Ganz problematisch scheint es in der Nacht vom 14. auf den 15.07. gewesen zu sein. Während den Tag über am 14.07. die Dimension immer deutlicher wurde, die Einsätze der Feuerwehren zunahmen, die Pegel massiv stiegen, passierte in manchen Kommunalverwaltungen erstmal wenig. Erst gegen Mitternacht, als es schon zu spät war, weil viele Menschen schliefen, wurden auf einmal deutlich verstärkte Warnungen ausgegeben. Es muss analysiert werden, warum es teilweise so lange gedauert hat, aus klaren Meldungen über eine absehbare Katastrophenlage eine flächendeckende Warnung zu machen. Der Zeitverzug weniger Stunden ist bei einer solchen Katastrophe hochproblematisch. Menschen hätten sich retten können, hätten ihr Hab und Gut in Sicherheit bringen oder Autos, die nachher durch die Straßen trieben und zu Verklausungen führten, woanders parken können. Es ist absolut angebracht, wenn diesbezüglich nun auch staatsanwaltschaftlich ermittelt wird.

Die Kommunikation der Warnung, egal ob über Sirenen, App oder SMS kann nur so gut sein wie die Warnung selbst und wann sie ausgegeben wird. Sicher ist aber, dass flächendeckende Sirenen-Netze oder ein Cell Broadcasting System mit automatisch zu versendenden SMS wichtige Bestandteile einer Warn-Strategie sein müssen.

Katastrophenschutz

Zuständig für den Katastrophenschutz sind in Nordrhein-Westfalen, und auch in Rheinland-Pfalz, die Kreise und kreisfreien Städte. Sie bilden den jeweiligen Krisenstab und legen die Einsatzleitung fest. Ob und wann dies in den einzelnen Kommunen während der Hochwasser-Katastrophe geschehen ist, muss sorgfältig evaluiert werden.

§ 5 Abs. 2 des BHKG NRW heißt: „Das Land hält beim für Inneres zuständigen Ministerium einen Krisenstab der Landesregierung und bei den Bezirksregierungen Krisenstäbe vor, die bei Bedarf zu aktivieren sind.“ Dass dies in NRW, soweit man hört, bis heute nicht geschehen ist, macht fassungslos. Wann soll ein Krisenstab einberufen werden, wenn nicht bei so einem Hochwasser-Ereignis? Diese Frage ist auch deshalb wichtig, weil es scheint, dass die Kreise und kreisfreien Städte bei solchen Katastrophenlagen wie im Moment gerade in der anfänglichen Risikobewertung schlichtweg überfordert sind. Die Einrichtung von Krisenstäben bei Regierungsbezirken und im Land muss und darf andersherum aber auch nicht heißen, dass die Krisenstäbe vor Ort „entmachtet“ werden, denn ihre Stärke ist eben die Kenntnis der Lage vor Ort und der direkte Zugriff auf die Einsatzkräfte. Es braucht also eine klare Definition und Kriterien, wann Bezirksregierungen und Land sich bei (absehbaren) Katastrophen-Lagen mit welchen Zuständigkeiten engagieren und wie die Aufgabenteilung funktioniert.

Und dies muss nicht nur für den Fall gelten, dass die Katastrophe bereits da ist. In der Tat scheint das Katastrophenmanagement in NRW zu wenig Wert auf frühzeitiges Handeln zu legen. Aber der Schutz vor einer Katastrophe muss sofern möglich dann beginnen, wenn die Katastrophe absehbar ist, und nicht wenn sie schon da ist. Dazu gehören die Warnungen der Bevölkerung, die Aktivierung von Notfallplänen und die umfassende Bereitschaftsherstellung bei Feuerwehren und weiteren Organisationen des Katastrophenschutzes, vulgo „Alarmbereitschaft“.

Es scheint, wie die GRÜNEN in Bund und Land es auch fordern, sinnvoll, wenn es hier eine bundesweite Koordination gibt, die über das Bundesamt für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz läuft. Wird dies eingerichtet, sollte oberstes Ziel sein, die hierarchischen Meldestrukturen um eine Art neuronales Netzwerk zu erweitern, in dem Warnungen und Koordination von Hilfe flexibler erfolgen.

Maßnahmen und Fehler

Es gab ein in dieser Intensität kaum vorhersehbares Jahrtausend-Ereignis mit massiven Schäden, ca. 180 Menschen starben in NRW und Rheinland-Pfalz, tausende Kräfte waren im Einsatz. Unverständlich ist die Aussage von NRW-Innenminister Herbert Reul am 19.07.2021: “Die Entscheidungen vor Ort sind richtig getroffen worden”, sagte Reul in Düsseldorf. “Ich kenne keinen Fall, wo auf Grund zu später Evakuierung Schaden entstanden ist.” (Quelle: Stern Online).

Bei einer Katastrophe eines solchen Ausmaßes muss es auch zu Fehlern gekommen sein, alles andere wäre nicht normal. Zwei Beispiele zeigen, einmal abseits des Themas Warnungen, wo das so war:

Talsperren: Viele Talsperren war bereits vor der Unwetterkatastrophe nahezu voll (Quelle: WDR, 23.07.2021). Besonders brisant war die Lage an der Steinbachtalsperre in Euskirchen. Dennoch gab es offenbar keine Maßnahmen der Betreiber, trotz vorhergesagter riesiger Regenmengen, Wasser im Vorfeld abzulassen. Und es gab auch offenbar keine Anweisung der Behörden, so zu verfahren. Daraus resultierte bei der Steinbachtalsperre eventuell eine Flutwelle durch Überlaufen, auf jeden Fall aber die tagelange Evakuierung wegen des drohenden Versagens der Staumauer.

Überflutung/Evakuierung: Wie beschrieben lagen die Hochwasser-Pegel weit über dem, was die Gefahren-Karten selbst in der höchsten Stufe zugrunde legten. Aber selbst die dort ausgewiesenen Bereiche wurden nicht überall geschützt.

Links: Auszug Hochwassergefahrenkarte, Rechts: Grafik Kölner Stadt-Anzeiger

So ist der Abschnitt auf der B 265 bei Erftstadt, in dem ca. 95 Autos eingeschlossen waren (Quelle: KStA, 18.07.2021) in den Hochwassergefahrenkarten, die jeder Einsatzleitung vorliegen müssten, eindeutig als überflutet dargestellt. Dennoch wurde die Straße offenbar nicht im Vorfeld gesperrt.

Das sind nur zwei Beispiele für Fehler. Das Bild, das der NRW-Innenminister zeichnet, es habe keine Fehler gegeben, ist verantwortungslos. Eine solche Haltung steht einer transparenten Überprüfung der Abläufe diametral entgegen. Darauf aber haben die Menschen einen Anspruch. Es geht nicht darum, Schuldige an den Pranger zu stellen. Es geht um eine transparente Analyse, um aus Fehlern zu für die Zukunft zu lernen.

Helfer*innen-Management

Die Feuerwehren und weiteren Kräfte des Katastrophenschutzes haben unglaublich viel geleistet, während und nach der Katastrophe. Ihnen gebührt großer Dank. Dabei ist besonders zu würdigen, dass sich diese Organisationen eben zum allergrößten Teil selbst aus Freiwilligen zusammensetzen.

Bei den Aufräumarbeiten kamen dann Tausende Freiwillige hinzu, was ebenso Anlass sein muss zu großem Dank für diesen Einsatz. Allerdings zeigte sich das Problem der mangelnden Koordination, insbesondere im Ahrtal, aber auch woanders. Lohnunternehmen, Landwirte usw. waren spontan vor Ort, hatten aber keine Gewissheit über die Frage, wie ihre Aufwendungen ersetzt werden. Helfende reisten auf eigene Faust an, es kam manchmal zu Verkehrschaos. Es stellen sich also Fragen, wie man einen solchen Einsatz koordiniert.

Sinnvoll wäre daher ein Register für Spontanhelfende und Bauunternehmen, das abgerufen und koordiniert werden könnte und bei dem auch Fragen z.B. des Versicherungsschutzes geklärt werden könnten. Dieses sollte nicht anlassbezogen, sondern dauerhaft angelegt werden. Es könnte einhergehen mit freiwilligen Übungen des Katastrophenschutzes und damit sogar eine Möglichkeit sein, mehr Menschen für das dauerhafte Engagement bei Feuerwehr und weiteren Katastrophenschutz-Organisationen zu gewinnen.

Aufbau

Die Schäden sind viele Milliarden hoch. Ganze Ortschaften sind zerstört oder extrem in Mitleidenschaft gezogen worden. Verkehrswege müssen teilweise ganz neu aufgebaut werden. Häufig zu hören ist nun die Vokabel „Wiederaufbau“. Unbestritten ist, dass die beschädigten Orte aufgebaut werden müssen. Und es muss schnell gehen, denn umso länger ganze Orte beschädigt sind, umso gravierender werden die Folgen für das Leben vor Ort sein. Aber „Wiederaufbau“ hat die Tonlage, dass man alles so wieder aufbauen möge, wie es vorher war.

Manche Menschen werden aber nicht mehr dorthin wollen, wo sie gewohnt haben, bis die Fluten ihre Häuser zerstört haben. Und es wäre auch nicht immer klug, direkt an einem Wasserlauf Häuser wieder zu errichten. Gleichzeitig sollen Bürger*innen aber durchaus die Möglichkeit haben, vor Ort zu bleiben. Es wird also um alternative Bauplätze gehen, die geplant und erschlossen werden müssen.

Vielerorts wird es auch sinnvoll sein, den Bächen und Flüssen mehr Raum zu geben. Das würde auch bedeuten, die eine oder andere Stelle, wo ein Haus stand, nicht wieder zu bebauen. Oder den gebrochenen Deich nicht wie bisher, sondern zurückverlegt zu errichten.

An manchen Stellen werden Verkehrswege neu errichtet. Aber wenn Brücken neu aufgebaut werden, dann sollte dieses Mal die Hochwassergefahr stärker berücksichtigt werden, was die Höhe des Durchlasses angeht oder Vorkehrungen für Verklausungen. Und wenn Infrastruktur wie Bahnstrecken oder Brücken ganz neu aufgebaut werden muss, warum dann nicht direkt zukunftsfest? Manche Brücke könnte nun vielleicht breiter werden, um den lang ersehnten Radweg mit zu realisieren. Und es wäre ein Treppenwitz, würde die Voreifelbahn zwischen Rheinbach und Odendorf, die sowieso in den nächsten Jahren elektrifiziert und zweigleisig ausgebaut werden soll, jetzt ohne Vorkehrungen für Oberleitung eingleisig „wiederaufgebaut“.

Dies alles wird aber schwierig sein. Das klassische deutsche Planungsrecht kennt den Katastrophenfall und den schnellen Neu-Aufbau nicht. Es mag einem wie ein Albtraum erscheinen, wenn alle die notwendigen Maßnahmen von der wasserrechtlichen Genehmigung einer Brücke bis hin zur Flurbereinigung für Rückhalteräume das übliche deutsche bürokratische Prozedere durchlaufen müssten.

Zusammengefasst: Es trifft das Bedürfnis nach schneller Rückkehr zur Normalität durch Aufbau auf die Notwendigkeit, sorgfältig zu planen, und gleichzeitig auf das starre bürokratische Korsett.

Notwendig ist daher ein eigenes Neu-Aufbau-Gesetz für die Hochwasserregionen mit Beschleunigung von Planungen, Verzahnung wichtiger Rahmenvorschriften wie Regionalplanung, Bauleitplanung, Wasserrecht etc., sowie als Finanzierungsgrundlage. Parallel dazu braucht es eine Planungs-Offensive zum Neu-Aufbau mit der Bereitstellung entsprechender Planungs-Experten und Ingenieure. Ebenso muss die Bevölkerung vor Ort auf breiter Ebene eingebunden werden.

Finanzielle Hilfen

Mittlerweile steht die Zahl von 30 Mrd. Euro im Raum, die zur Beseitigung der Schäden notwendig wären. Hier zeigt sich einmal mehr, dass vielleicht ein paar Hundert Millionen Euro für bessere Vorsorge gut angelegt wären im Vergleich zu den Schadenspotenzialen.

Viele Menschen und Unternehmen sind hart getroffen, ihre wirtschaftliche Existenz ist akut bedroht.

Die Debatte über die Frage, ob eine Elementarschadenversicherung verpflichtend abzuschließen ist und für wen und in welcher Form, ist endlich zu klären. Aber diese Pflicht gibt es noch nicht. Und angesichts der Gewalt der Katastrophe muss die staatliche Gemeinschaft helfen, alles andere würde zu massiven sozialen Verwerfungen in den betroffenen Gebieten führen. Die staatliche Hilfe muss sich an die Kommunen vor Ort, die Unternehmen und die Privatleute richten.

Die Zahl der Spendenaufrufe und gemeldeten Spenden-Konten war hoch. Ob damit eine koordinierte Hilfeleistung und Verteilung der Gelder möglich sein wird, scheint eher fraglich. Sinnvoll wäre es, die Akteure, vor allem der Bund, würde sich mit Hilfsorganisationen auf eine zentrale Spenden-Sammelstelle einigen, welche die Spenden nach transparenten Kriterien weiterleitet.

Private Spenden sollten nicht an öffentliche Einrichtungen fließen. Für die Beseitigung der Schäden an Schulen oder Kitas müssen die jeweiligen Städte und Gemeinden verantwortlich sein, unterstützt von Land und Bund. Spenden sollten daher im Wesentlichen an Private gehen.

Vorsorge

Die Wirkung der extremen Niederschläge war gewaltig. Dabei ist klar, dass es selbst bei „perfekter“ Vorbeugung zu dem Hochwasser und vielen Schäden gekommen wäre. Aber dennoch: Jeder Zentimeter Pegel zählt. Daher ist es wichtig, nachhaltiger und in stärkerem Bewusstsein für die Risiken des Klimawandels zu planen. Dazu gehört:

  • Weniger Versiegelung in umbauten Gebieten, sowohl öffentlich (Verkehrswege) als auch privat (Thema „Schottergärten“)
  • Gezielte Ausweisung von Versickerungsflächen oder Retentionsräumen in umbauten Gebieten, wo Überflutungen drohen
  • Schaffung von Retentionsräumen / Hochwasserpolder durch Deichrückverlegungen auch an kleineren Fließgewässern
  • Vorgaben der Landschaftsplanung zur Wald- und Landbewirtschaftung gerade in bergigen Regionen, mit Ackerrandzonen zur Verzögerung flächenhafter Abflüsse.

Das sind auch Maßnahmen, die nicht nur wegen der Bedeutung für Sturzfluten und Hochwasser wichtig sind, sondern für Klimaschutz, Biodiversität und bis hin zur städtebaulichen Qualität Vorteile bieten.

Wichtig wird es sein, diese Maßnahmen stärker verbindlich umzusetzen. Das können Vorschriften im Baugesetzbuch oder der Landschaftsplanung sein, aber z.B. auch die Bindung von Fördermitteln des Städtebaus an solche Konzepte.

Technischer Schutz

Die Gewalt der Überflutungen in dieser Qualität zeigt, dass es allein mit präventiven Maßnahmen für Versickerung und Wasserrückhalt nicht getan sein wird. An bestimmten Stellen wird es nicht gehen ohne eine entsprechenden Hochwasserschutz, auch durch höhere Deiche oder den Bau von größeren Entlastungskanälen.

Wichtig sind abgestimmte und fundiert entwickelte Maßnahmenprogramme und Finanzierungsinstrumente für diesen verstärkten technischen Hochwasserschutz.

Und es wird, auch wenn es nicht angenehm wird, notwendig sein, bestimmte Vorschriften des Naturschutzes, die solchen Maßnahmen entgegenstehen oder sie massiv verkomplizieren, zu überprüfen. Das Hochwasser darf dabei kein „Dammbruch“ zum Schleifen des Naturschutzes werden. Aber eine kritische Reflexion wird notwendig sein, wie Naturschutz und Hochwasserschutz je nach örtlicher Lage besser miteinander in Einklang gebracht werden können.

Ursachen

Der letzte IPCC-Report zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit solcher Unwetter steigt. Wer also die Ursachen angehen will, muss endlich wirksamen Klimaschutz betreiben. Der Kohle-Ausstieg muss früher kommen, die Emissionen im Verkehr müssen herunter und vieles mehr.

Dabei ist klar, dass die globale Erwärmung auch globale Ursachen hat, es gibt kein „deutsches Klima“ und der Treibhausgas-Ausstoß Deutschlands ist natürlich nur ein Bruchteil des globalen. Aber zum einen ist der deutsche Anteil nicht zu vernachlässigen. Und zum anderen ist die große Aufgabe, in Deutschland ein Modell zu entwickeln, wie Wohlstand und Klimaschutz nachhaltig zusammenpassen. Und dieses erfolgreiche Modell können andere Staaten sicher adaptieren, damit wir auch global endlich echten Klimaschutz betreiben.

Zusammenschau

Leitbegriff für den Umgang mit den Hochwasser-Risiken sollte die Nachhaltigkeit sein. Dazu gehört, jetzt in Vorbeugung und Widerstandsfähigkeit (Resilienz) zu investieren, auf die maximale Flächenausnutzung zu verzichten, sich auf Katastrophen einzustellen. Diese Mehraufwendungen sind auf lange Sicht wirtschaftlich. Und sie verhindern tausendfaches Leid.

Aus der Gesamtbetrachtung können folgende zentralen Punkte als Handlungsfelder abgeleitet werden:

  1. Niederschlags-Abfluss-Modelle entwickeln
  2. Hochwasser-Gefahrenkarten aktualisieren und auf weitere Gewässer ausdehnen
  3. Starkregen-Gefahrenkarten erarbeiten und mit Planungen zur Abwasserbeseitigung und baulichen Entwicklung verknüpfen
  4. Kriterien für umfangreiche Vorwarnungen auf kommunaler Ebene erarbeiten, Informationskanäle festlegen
  5. Ausbau des Warnsystems mit Sirenen und Handy-SMS
  6. Transparente Fehleranalyse bei allen Stellen zu Warnung und Einsatz
  7. Kriterien für die Einschaltung von Land und Bezirksregierung im Katastrophen-Fall mit klarer Kompetenzzuweisung, ohne „Entmachtung“ der lokalen Krisenstäbe
  8. Fokus auf vorbeugenden Katastrophenschutz bei absehbaren Lagen mit Warnung der Bevölkerung und umfassende Aktivierung der Einsatzkräfte („Alarmbereitschaft“) sowie Einleitung von Notfall-Prozeduren
  9. Landes- bzw. bundesweite Koordination über flexible Netzwerk-Struktur als Ergänzung der hierarchischen Melde- und Befehlsketten.
  10. Umfassendes permanentes Helfer*innen-Management über die Freiwilligen im Katastrophenschutz hinaus
  11. Finanzielle Hilfen sowohl für die betroffenen Kommunen wie auch Private / Unternehmen
  12. Zentrale Spenden-Koordination einrichten
  13. Neu-Aufbau-Gesetz für die Hochwasserregionen mit Beschleunigung von Planungen, Verzahnung wichtiger Rahmenvorschriften wie Regionalplanung, Bauleitplanung, Wasserrecht etc., sowie als Finanzierungsgrundlage.
  14. Verstärkte Planung und Umsetzung von Maßnahmen zur Klima-Anpassung: Versickerung und Retentionsräume, untermauert durch verbindliche Vorgaben.
  15. Investitionen in technischen Hochwasserschutz in besonders kritischen Gebieten
  16. Klimaschutz in Deutschland und global vorantreiben.