GRÜNE – Wohin geht´s?

Am Samstag konnte ich, nach anstrengenden politischen Tagen, im Siebengebirge beim Wandern ein wenig durchatmen. Was der richtige Weg ist, darüber wird gerade bei uns GRÜNEN viel gesprochen.

Die personellen Entscheidungen im GRÜNEN Bundesvorstand und bei Teilen der GRÜNEN JUGEND sind bedauerlich. Wir sollten weniger über Personen reden als über Inhalte. Der Grund für schlechte Wahlergebnisse sind nicht personelle sondern inhaltliche Probleme. Diese haben wir uns selbst als gesamte Partei zuzuschreiben. Deshalb können nur wir gemeinsam das lösen.

Unser GRÜNES Wertefundament ist klar: Wir wollen sozialen Ausgleich, eine offene und tolerante Gesellschaft und den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Dabei denken wir mit dem Leitbild der Nachhaltigkeit nicht nur ans „Jetzt“, sondern gerade auch ans „Morgen“, an die zukünftigen Generationen.

Der erste Schritt ist es, dieses sozial-ökologische Wertefundament in konkrete politische Positionen zu übersetzen. Und diese wandeln sich manchmal. Die Welt ändert sich. Deshalb muss sich Politik auch ändern. Inhaltlicher Stillstand ist immer inhaltlicher Rückschritt. Es geht nicht darum, sich auf dem „Wählermarkt“ an der Nachfrage ausrichten und Stimmungen hinterherzulaufen. Genauso wäre es falsch, eigene politische Positionen an mögliche Koalitionsoptionen anzupassen. Es geht darum, aus eigener Überzeugung in einer vielfältigen Partei zu diskutieren und daraus eigenständig Positionen zu entwickeln und immer zu überprüfen.

In einigen Themen, die gerade besonders wichtig sind, müssen wir unsere inhaltliche Position schärfen. Wir müssen wieder eine Erzählung einer solidarischen und nachhaltig wirtschaftenden Gemeinschaft der linken Mitte schaffen, hinter der sich mehr Menschen versammeln können. Wie müssten also politische Positionen einer Partei der linken Mitte aussehen, die wirklich geeignet sind, die großen Probleme tatsächlich zu lösen?

Migration: Nach Waren, Kapital und Informationen globalisiert sich im 21. Jahrhundert endgültig auch der Mensch. Es wäre naiv zu glauben, ein hochentwickelter Sozialstaat könnte bei offenen Grenzen und Zuwanderung von vielen Hunderttausend pro Jahr weiter funktionieren. Daher setzen wir bei den Fluchtursachen an: Mit fairen Handelsabkommen und wirtschaftlicher Hilfe, auch unter Inkaufnahme negativer Auswirkungen auf unsere (teilweise dekadenten) Konsummuster. Wir stehen zum Grundrecht auf Asyl und für den Schutz von Kriegsflüchtlingen. Die Hautfarbe, woran jemand glaubt, oder wen jemand liebt, ist uns egal. Wir bieten denen Schutz, die ihn brauchen. Wir ermöglichen legale Zuwanderung in unseren Arbeitsmarkt und schnelle „Spurwechsel“ für Geflüchtete in den Arbeitsmarkt. Die europäische Konsensfindung ist uns wichtig, um offene Grenzen in Europa zu erhalten. Deshalb soll die Prüfung möglichst im Herkunftsland oder an den Außengrenzen erfolgen. Für diejenigen Menschen, die Schutz nicht brauchen, schaffen wir schnell Klarheit führen sie menschenwürdig zurück. Es gilt: Wer hier Schutz sucht oder leben will, muss sich an unser freiheitliches Wertefundament halten, ansonsten erfolgt bei Extremisten, Islamisten und Gewalttätern immer konsequent eine Rückführung.

Klimapolitik und Wirtschaft: Den Klimawandel und die Umweltverschmutzung in den Griff zu bekommen und zu mindern, wird entscheidend sein für unsere Zukunft. Wir stehen daher zum Ziel der Klimaneutralität und für Umweltschutz. Wir gehen da schnell voran, wo es leicht möglich ist, zum Beispiel beim Tempolimit, und wir beenden umweltschädliche Subventionen. Erforderliche Ver- und Gebote setzen wir, aber als langfristige Zielmarken, um für alle Beteiligten Investitionssicherheit zu schaffen. Den Weg bis zu den Zielmarken ebnen wir mit Fördermaßnahmen und schrittweisen Anreizen. Wir orientieren uns beim Tempo eher am technisch machbaren als an theoretischen Zwischenzielen und setzen auf Verlässlichkeit bei Fördermitteln. Einnahmen aus der Besteuerung von klimaschädlichen Verhalten verwenden wir für Fördermaßnahmen und sozialen Ausgleich. Erneuerbare Energien bauen wir radikal aus, ebenso umweltfreundliche Verkehrsmittel. Wir sichern unsere Industrie als Basis unseres Wohlstands. Dabei haben wir nicht nur Großkonzerne im Fokus, sondern kleine und mittlere Unternehmen oder das Handwerk. Eine klimafreundliche und rohstoffarme Wirtschaft macht uns unabhängig von den fossilen Energieträgern aus Diktaturen. Um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, muss auf europäischer Ebene sichergestellt werden, dass klimaschädliche, hochsubventionierte oder mit Sozialdumping produzierte Importgüter unsere Wirtschaft nicht kaputt machen. Wir schaffen bessere Rahmenbedingungen für unsere Volkswirtschaft durch Digitalisierung und Entbürokratisierung, ohne dabei Sozial- und Umweltstandards abzusenken.

Sozialstaat: Staatliche Infrastruktur wie gute Kitas, Schulen und Hochschulen und eine gute Versorgung sind ein Zeichen für den Zivilisationsgrad unserer Gesellschaft. Sie dienen dazu, dass möglichst alle Menschen gute Chancen im Leben haben und unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ein gutes Leben führen können. Deshalb investieren wir massiv in Gebäude und bezahlen die darin arbeitenden Menschen, seien es Erzieher*innen, Lehrer*innen oder Pfleger*innen, besser. Wir entbürokratisieren das Sozialsystem. Wir wollen die Bürgerversicherung für alle; alle – auch Reiche, Beamt*innen oder Politiker*innen – zahlen in die gleiche Krankenversicherung, Pflegeversicherung und Rentenversicherung ein. Wir sichern allen Menschen über das Bürgergeld ein würdiges Leben mit Teilhabemöglichkeiten. Bei Arbeitssuchenden liegt unsere Priorität auf Qualifikation. Wir erwarten allerdings auch, dass diejenigen, die arbeiten oder sich qualifizieren können, dies auch tun, sonst kürzen wir ihnen Leistungen bis aufs gerade existenzsichernde Mindestmaß.

Finanzen: Die Schere zwischen Arm und Reich klafft in Deutschland immer weiter auseinander, während der Staat unterfinanziert ist. Wir schaffen bei der Schuldenbremse Ausnahmen für Ausgaben für die Zukunft, seien es Investitionen oder Bildungsausgaben. Zudem müssen Super-Reiche mehr zur Finanzierung des Staats beitragen. Wir sorgen dafür, dass Kapitaleinkommen wieder genauso hoch besteuert werden wie Arbeitseinkommen. Wir führen eine Abgabe auf sehr hohe Vermögen ab 10 Millionen Euro ein. Wir schließen Schlupflöcher bei großen Unternehmens-Erbschaften. Wir erhöhen den Steuersatz für Einkommen ab 300.000 Euro pro Jahr. Von den Einnahmen finanzieren wir Steuersenkungen für kleine und mittlere Einkommen sowie die notwendigen Investitionen in Zukunftsbereiche und Daseinsvorsorge, gerade auch in den Städten und Gemeinden.

Diese Ausführungen sind nicht vollständig, natürlich fehlen wichtige Punkte (wie Außenpolitik, Sicherheit, Rente oder Gesellschaftspolitik). Und fast alles davon ist nicht neu, steht in Programmen oder Beschlüssen, und einiges wird von der Ampel angegangen.

Aber vier Behauptungen stelle ich dazu auf:

  1. Die genannten Bereiche sind gerade für den Großteil der Menschen die Themen, die sie am meisten umtreiben.
  2. Oben skizzierte Aussagen sind für 90 % der GRÜNEN Mitglieder trag- und konsensfähig.
  3. Es gibt in Deutschland keine andere Partei als die GRÜNEN, die ein solches Programm glaubhaft vertreten kann.
  4. Ein solches Programm spricht deutlich mehr als die 10 – 12 % der Bevölkerung an, die GRÜNE laut Umfragen derzeit wählen würden.

Um aus dem Tief zu kommen, ist es erforderlich, solche Positionen wieder zu schärfen und offensiv zu vertreten. Rauskommen aus dem Bürokraten-Sprech des Regierungsalltags, und gerade der Jugend ambitionierte Perspektiven für eine bessere Zukunft bieten, die wir den Spaltungsversuchen und dem Rollback der Rechtsextremisten entgegen setzen.

Dabei laufen wir nicht in die Falle der Identitätspolitik. Denn für uns zählt nicht Mann oder Frau, weiß oder schwarz, hetero oder homo, Stadt oder Land, Schlager oder HipHop, Yoga oder Fußball. Es zählt, was Menschen denken und wo sie hin wollen. Unser Programm und die Sprache, mit der wir es verbreiten, richtet sich an alle. Es richtet sich nicht zuerst danach, was uns persönlich wichtig ist, sondern zuerst danach was für die Gesellschaft wichtig und richtig ist.

Der zweite Schritt ist, wie man konkrete politische Forderungen umsetzt.

Politik ist dafür da, Entscheidungen zu treffen. Menschen erwarten, dass die Partei, die sie dafür wählen, etwas dafür tut, diese Ziele zu erreichen. Der Kompromiss gehört in unserer Demokratie dazu. Sich Kompromissen zu verweigern und stattdessen in der eigenen Blase moralisch-selbstzufrieden zu verharren, ist persönlich bequem, hilft der Gesellschaft aber nicht. Klare Ziele zu formulieren und zu ihnen zu stehen, und dann erhobenen Hauptes Kompromisse zu vertreten, um Mehrheiten zu schaffen, schließen sich nicht aus. Der Kompromiss wird damit jedoch nicht zur Parteiposition! Es gibt immer Grenzen, bis wohin man Kompromisse eingehen will. Aber das wird an Inhalten gemessen und nicht an Gefühlen.

Es wird nicht der richtige Weg sein, grüne Positionen pauschal zu schleifen, um sich in der Beliebigkeit der Mitte einzurichten, in der Hoffnung man werde mit gutem Personal ein paar Wechselwähler abgreifen.

Es wird nicht der richtige Weg sein, grüne Positionen von Realitäten abzukoppeln, und sich im eigenen theoretischen Weltbild wohlzufühlen, in einer Nische, die niemand interessiert.

Der richtige Weg für die GRÜNEN ist und bleibt die sozial-ökologische Kraft der linken Mitte, eine Art linke Realpolitik, die fortschrittliche und taugliche Positionen fürs Heute und fürs Morgen entwickelt und bereit ist, diese in Verantwortung bestmöglich umzusetzen.