Die Bundes-FDP hat einen Beschluss ihres Parteivorstands gefasst. Titel „Politik für das Auto“. Und der enthält ein Sammelsurium von Positionen, von der „Brötchentaste“ am Parkautomaten bis zur Formel 1. Es folgt meine kleine Polemik dazu. Aber vorab zwei Bemerkungen:
Man überlegt sich wirklich, ob man über jedes politische Stöckchen springt, das einem der politische Mitbewerber hinhält. Aus einer fachlichen verkehrspolitischen Sicht ist der FDP-Beschluss nichts Neues oder Fortschrittliches. Es sind altbekannte Positionen in besonders aggressive Worte gekleidet. Und da ist viel dabei, das alle ablehnen werden, die sich für eine nachhaltige und bessere Mobilität einsetzen. Es gibt auch einzelne vernünftige Forderungen, wie zum Beispiel der Punkt Digitalisierung im Straßenverkehr.
Das Motiv der FDP für ihr Auto-Papier ist nicht die Füllung des politischen Sommerlochs, sondern die drei Landtagswahlen im September. Offenbar muss sich die FDP, die dort in den Umfragen meist schon unter „Sonstige“ geführt wird, irgendwie Gehör verschaffen. Und natürlich treibt Verkehrspolitik immer wieder die Bevölkerung um und wird emotional diskutiert, vor Ort und auf bundespolitischer Ebene. Wobei ich glaube, dass wie in so vielen Bereichen auch da oft nur die extremen Stimmen in Social Media hervorstechen und deutlich mehr Menschen ein differenziertes Bild davon haben, was gute Verkehrspolitik ist.
Wenn die FDP fordert, man wolle Parken kostenfrei oder günstiger machen, ist das nun wirklich banalster Populismus. Einmal abgesehen davon, dass Parkgebühren gerade in den ländlichen Räumen manchmal gar nicht erhoben werden, sind sie dort oft einfach günstig. Und ganz ehrlich, sind es dann die 2 oder 3 Euro, die darüber entscheiden, ob jemand in die Nachbarstadt zum Einkaufen und Kaffeetrinken fährt? Unsere Innenstädte wird man nicht mit kostenfreiem Parken oder der Brötchentaste retten. Dafür müssten sie attraktiver werden, breiter aufgestellt, mehr Erlebnisse bieten. Und Politik müsste endlich dem Online-Handel bestimmte Leitplanken auferlegen, um wieder Chancengleichheit zum stationären Handel herzustellen. Oder eben nicht große Handelszentren auf der „grünen Wiese“ neu genehmigen, die dann Kunden aus dem Kernort abziehen. Aber da trauen sich die vermeintlichen Unternehmerfreunde von der FDP nicht ran, weil da sind die Spezis von den großen Versandhändlern, Handelsketten und Logistikfirmen doch wichtiger als der kleine Händler oder Dienstleister um die Ecke.
Besonders knuffig ist übrigens der letzte Punkt im FDP-Beschluss, wonach man den Rennsport und konkret die Formel 1 in Deutschland stärken will. Motorsport fand ich noch nie spannend, ich mag lieber Fußball. Aber sollen ja alle halten wie sie wollen, ist mir egal. Aber wenn die FDP echt am gleichen Tag, wo sie fordert das Bürgergeld zu kürzen, gleichzeitig dem Staat aber nahelegt doch endlich mal etwas für den Motorsport zu tun, kann das nur auf ein politisches Schleudertrauma infolge inhaltlicher Irrfahrten zurückzuführen sein.
Was mich am FDP-Beschluss tatsächlich ärgert, ist das bekannte Wording von der Ideologie. Zitat: „Wir Freie Demokraten setzen uns in der Bundesregierung für eine Verkehrspolitik ohne Ideologie ein.“ Und damit ist natürlich klar: Alle, die irgendwie etwas tun, was „Freie Fahrt für freie Bürger“ einschränkt, sind Ideologen, während die Freien Demokraten ganz unideologisch und pragmatisch rangehen. Und das ist einfach nur Blödsinn.
Nun bin ich 41 Jahre alt. Und zumindest seitdem ich das Geschehen auf der Welt mitbekomme, fluchen alle immer über Verkehr. Auf Autobahnen ist immer Stau; ich denke an den Kult-Film „Superstau“ aus 1991. Und schon 1984 sang Herbert Grönemeyer im Lied „Mambo“: „Ich finde keinen Parkplatz.“ Seit 1991 hat die Fahrleistung im Straßenverkehr von 574 Mrd. Kilometer auf über 700 Mrd. Kilometer zugelegt. 1991 gab es 31 Millionen zugelassene Pkw in Deutschland, mittlerweile sind 49 Millionen. Während über Jahrzehnte das Schienennetz der Deutschen Bahn schrumpfte, wurden hunderte Kilometer Autobahnen und weitere Straßen neu gebaut, und vielerorts Verkehrsschneisen und Parkhäuser in Innenstädte geschlagen, die heute einfach nur noch hässlich anmuten und wegbröseln. Während Milliarden in Straßen für Autoverkehr flossen, wurden Radfahrer und Fußgänger im wahrsten Sinne des Wortes an den Rand gedrängt.
Und was ist das Resultat von Jahrzehnten „Politik für das Auto“? Alle glücklich und zufrieden? Nein! Alle sind immer noch unzufrieden, die Staus in den Ballungsräumen werden immer länger, viele finden immer noch keinen Parkplatz, Autobahnbrücken bröseln weiter, und weiter sterben täglich Menschen. In 2023 gab es im Schnitt pro Tag (!) acht Tote, 145 Schwerverletzte und 859 Leichtverletzte im Straßenverkehr. Von den klima- und umweltpolitischen Problemen einmal ganz zu schweigen. Vielleicht nur so viel: Der Verkehrsbereich ist der einzige Sektor unseres Wirtschafts- und Gemeinschaftslebens, der seine Treibhausgas-Emissionen seit über 30 Jahren nicht verringert hat.
Ist es also „Ideologie“ die Frage zu stellen und Positionen zu formulieren, diese Politik einmal zu überdenken und mehr oder weniger abzuändern? Oder sind nicht vielmehr diejenigen Ideologen, welche meinen, man müsse die Politik, die seit Jahrzehnten keinen Erfolg gebracht hat, jetzt umso radikaler weitermachen, dann werde das schon klappen?
Dabei ist der aktuelle Stand ja auch nicht rosig. Und es ist nicht so, als gäbe es in diesem Staate oder in Städten mittlerweile irgendwo eine radikale „Anti-Auto-Politik“, also eine politisch verordnete groß angelegte Hatz auf Autofahrer. Beispiele?
- Es gilt – leider – weiterhin ein Bundesverkehrswegeplan aus 2016, der gesetzlich den Bedarf festschreibt, um bis 2030 800 Kilometer Autobahnen neu zu bauen, auf ca. 1.700 Kilometer Autobahnen zu verbreitern und etwa 3.000 Kilometer Bundesstraßen neu zu bauen. Dafür würden nach offiziellen Angaben etwa 130 Quadratkilometer in Anspruch genommen, was – im deutschen Lieblings-Maßstab – der Fläche von gut 18.000 Fußball-Feldern entspricht. Und das alles, während der Bundesverkehrsminister bis heute keinen Plan vorgelegt hat, wie er das Problem der bestehenden maroden Straßenbrücken in den Griff kriegen will. Hauptsache, der Neubau schreitet weiter voran.
- Die Deutsche Bahn wird nach Jahrzehnten Schrumpfkur gerade finanziell gestärkt, auch das vor allem dank GRÜNEN Engagements. Das Deutschland-Ticket hat Bus und Bahn attraktiver gemacht. Aber die Finanzierungsperspektiven sind unklar. Während Milliarden in Dienstwagen- und Diesel-Subventionen fließen, wird über jeden Cent zusätzlich für Züge und Busse jedes Jahr neu gefeilscht.
- Die Straßenverkehrsordnung wurde erst jetzt im Jahr 2024, dank des Engagements der GRÜNEN mit viel Unterstützung aus Städten und Gemeinden, zumindest ein wenig mehr dafür geöffnet, alle Verkehrsmittel und die Verkehrssicherheit besser mitzudenken. Eine Revolution ist das immer noch nicht. Während man woanders relativ einfach Schilder aufhängt und damit Verkehr klug steuert, sind in Deutschland weiterhin je nachdem erhebliche bürokratische Hürden vorgeschaltet, weil die „Leichtigkeit des (Auto)Verkehrs“ eben doch immer wichtig ist.
- Nach wie vor gehört Deutschland zu der Handvoll Staaten auf der Welt ohne Tempolimit auf Autobahnen. Wer noch? Die Antwort: Afghanistan, Bhutan, Burundi, Haiti und Mauretanien. Wobei ich viel Spaß wünsche, mit 200 km/h über afghanische Straßen zu heizen. In Deutschland ist laut Umfragen eine Mehrheit mittlerweile für ein Tempolimit auf Autobahnen. Eingeführt wird es trotzdem nicht.
- Wer in eher nicht ökosozialistischen Staaten wie der Schweiz innerorts 21 km/h zu schnell fährt, bekommt mindestens einen Monat den Führerschein abgenommen und muss umgerechnet 420 Euro Strafe zahlen. In Deutschland für das gleiche Vergehen: 115 Euro und 1 Pünktchen. Und es wird sogar immer noch teilweise angekündigt, wo geblitzt wird!
Nein, wir leben nicht in einem Land, wo Autofahrerinnen und Autofahrer zu Opfern des grünen ideologischen Mainstreams werden. Wir leben in einem Land, das leider immer noch, und entgegen der Politik in vielen anderen Staaten, den Schwerpunkt auf das Auto legt. Aber wir leben in einem Land, wo offenbar jede Fahrradstraße oder Umwandlung einer Autospur in eine Busspur zur Bedrohung des ach so erfolgreichen und traditionellen deutschen Lebensart stilisiert werden kann.
Denn wenn nun GRÜNE, aber auch viele andere, nach Jahrzehnten radikaler Pro-Auto-Politik die Forderung aufstellen, dass man vielleicht etwas an der Politik ändern könnte, weil sie in dieser Form gescheitert ist, ruft das FDP-Präsidium: „Ideologie!“
Gleichzeitig schreibt sie im ersten Satz ihres Beschlusses: „Kommunen, Länder und Europäische Union müssen sich zum Automobil bekennen [sic!]“. Bekenntnisse kenne ich als ehemaliger Messdiener eigentlich nur aus der Kirche. Und so wirft die Partei, welche ein Fortbewegungsmittel auf quasireligiöse Ebene hebt, den anderen vor ideologisch zu sein.
Doch, man könnte etwas ändern, man sollte etwas ändern.
Die Bundes-FDP macht es sich dann einfach. Sie ist ja offiziell nicht gegen bessere Radwege, bessere Fußwege, besseren ÖPNV. Nur dem Auto soll man bitte nichts wegnehmen, keine Fahrspur, keinen Parkplatz. Das sei doch Zwang. Dabei offenbart die Partei, die sich ihrer vermeintlichen wirtschaftspolitischen Kompetenz rühmt, ihre Ignoranz gegenüber einem fundamentalen ökonomischen, und auch planerischen, Prinzip: Knappheit.
Der Staat hat nicht unendlich Geld. Und es gibt Fachkräftemangel. Man kann Politik nicht nach dem Motto „mehr für alle“ gestalten. Sollte die FDP wissen. Man muss Prioritäten setzen. Also, was ist denn wichtiger: Geld und Personal für den achtspurigen Ausbau einer Autobahn, oder für die neue S-Bahn-Linie? Ressourcen für die neue Ortsumgehung oder die Stadtbahn-Strecke? Man kann darüber diskutieren und muss darüber entscheiden. Aber man kann nicht alles haben.
Dazu kommt die Fläche: Sowohl in Städten wie auch in vielen Dörfern, und wenn man an Umwelt und Landwirtschaft denkt eigentlich überall, ist Platz knapp. Und es gibt nicht mehr davon, Fläche ist nicht vermehrbar. Wenn ich eine Fläche dem Autoverkehr gebe oder belasse, steht sie für anderes nicht zur Verfügung. Ist die Ortsumgehung erforderlich, die 100 Hektar Ackerboden benötigt, oder gehen die Interessen der Landwirtschaft vor? Immer ist abzuwägen. Braucht es tatsächlich noch die Parkplätze 100 bis 120 in der Straße, oder kann man welche wegnehmen, dafür breitere Bürgersteige und ein Radweg? Kann man so oder so sehen, aber beides geht oft nicht, außer man reißt ganze Häuserzeilen ein. Und oft muss man eben entscheiden: Radweg oder Parkplatz? Busspur oder Autospur? Das FDP-Präsidium formuliert: „Unser Ziel ist es, die individuelle Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen zu stärken.“ Das scheint dann aber nur für Autofahrer zu gelten. Zu Fuß gehen, auf dem Fahrrad radeln, im Bus sitzen keine Menschen, die Freiheit und Selbstbestimmung benötigen. Sonst würden sie ja Auto fahren.
Dabei sind wir GRÜNE ja nicht bescheuert. Vielerorts in ländlichen Räumen, aber auch in Städten werden Menschen weiter Autos nutzen, schrittweise mit neuen Antrieben. Und es kann durchaus Sinn machen, hier und da einen Engpass zu beseitigen oder eine Umgehung zu bauen. Nicht für jede Fahrt und jedes Bedürfnis gibt es gute Alternativen zum Auto. Aber was spricht dagegen, für die Fahrten, wo es sich dann anbietet die Alternativen zu stärken? Freut sich nicht jede Person im Auto, wenn jemand anderes Fahrrad oder ÖPNV nutzt und der Stau damit weniger wird? Warum nicht mehr CarSharing, vielleicht als Ersatz für das verbreitete Zweitauto, in der Stadt sogar für das erste Auto, wo das passt? Und lokal angepasste Regelungen für Bewohnerparken, damit alle einen Parkplatz finden, die ihn brauchen, was dann ruhig auch etwas kosten darf. So vielleicht Parkflächen sparen und stattdessen begrünen? Warum nicht häufiger Tempo 30 in Ortschaften wo es echt eng und gefährlich ist? Oder Tempo 80 auf Landstraßen und Tempo 130 auf Autobahnen – unvorstellbar? Was kosten uns eigentlich die ganzen Verkehrstoten und Verletzten? Busse und Züge pünktlich, im Takt und günstig. Damit für die Fahrten in die Stadt oder die größere Ortschaft, wo es passt, eben doch der Bus die Alternative ist, und man das Auto einmal stehen lässt. Oder endlich gute Radwege, damit die Fahrt in den Nachbarort nicht mehr lebensbedrohlich ist und man hier lieber das Rad nimmt, wenn es sich anbietet. Und vielleicht kriegt man ja so die Verkehrszahlen runter, dass viele Ortsumgehungen, oder neue Autobahnen die ganze Wälder oder beste Ackerböden vernichten, gar nicht mehr gebraucht werden?
Man kann über alles streiten, unterschiedlicher Meinung sein, diskutieren. Aber: Ist die Forderung nach Veränderung eine Ideologie? Ist es per se unvernünftig? Bedroht es unsere Freiheit? Ernsthaft?
Verkehrspolitik sollte dafür sorgen, dass Menschen besser mobil sind, und das dabei effizienter und umweltfreundlicher geschieht. Dafür stehen wir GRÜNE. Die Bundes-FDP war nie wirklich Teil einer solchen Debatte und katapultiert sich nun komplett heraus, bar jeglicher fachpolitischer Vernunft. Na, dann: „Gute Fahrt im Rückwärtsgang.“