Hier kommt die Maut?! Oder: Die Zweckgebundenheit heiligt die Mittel

Kommt die Pkw-Maut doch? So wurde es verkündet. Über die Hintergründe des Streits zwischen der EU-Kommission und Verkehrsminister Dobrindt kläre ich in diesem Artikel auf. Und was das Ganze mit dem Projekt Bundesfernstraßen-GmbH zu tun hat, erläutere ich ebenso.

Die Pkw-Maut ist hochbürokratisch, datenschutzrechtlich problematisch und ein Instrument gegen die Verkehrswende.

Es ist Aufgabe für die GRÜNEN, dies offensiv herauszustellen und tragfähige Konzepte für eine nachhaltige Verkehrsinfrastrukturfinanzierung zu erarbeiten.

 

Sag niemals nie!

Die Sätze, die Angela Merkel am 1. September 2013 im Kandidatenduell mit Peer Steinbrück sagte, sind legendär.

Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben. Das habe ich schon sehr sehr lange und in vielen Interviews gesagt. Ich glaube nicht, dass es richtig wäre, die Autofahrer weiter zu belasten. Ich glaube auch nicht, dass es richtig wäre, dem Bund weitere Einnahmen vorzuenthalten. Wir haben genügend Aufgaben, da stimme ich Herrn Steinbrück sehr zu, dass wir investieren müssen. Und insofern: Mit mir wird es eine Maut für Autofahrer im Inland nicht geben.

Nun könnte man meinen „doppelt hält besser“, aber für Versprechen dieser Kanzlerin gilt das nicht. Denn im schwarz-roten Koalitionsvertrag von 2013 steht etwas anderes:

„Zur zusätzlichen Finanzierung des Erhalts und des Ausbaus unseres Autobahnnetzes werden wir einen angemessenen Beitrag der Halter von nicht in Deutschland zugelassenen PKW erheben (Vignette) mit der Maßgabe, dass kein Fahrzeughalter in Deutschland stärker belastet wird als heute. Die Ausgestaltung wird EU-rechtskonform erfolgen. Ein entsprechendes Gesetz soll im Verlauf des Jahres 2014 verabschiedet werden.“

So hatte sich also die CSU mit ihrem populistischen Projekt „Ausländer-Maut“ vorerst durchgesetzt. Und nicht wenige bei CDU und SPD hofften, dass sich der neue Verkehrsminister Dobrindt an den Bedingungen im Vertrag die Zähne ausbeißen würde.

 

Der Bauplan für ein Bürokratiemonster

2014 legte dann Bundesverkehrsminister Dobrindt (CSU) sein Konzept vor. Es hagelte Kritik, von vielen Seiten, auch in der Koalition. Der Nutzen und die Europarechtskonformität wurden bestritten, erhebliche Nachteile für Grenzregionen befürchtet. Dennoch beschloss der Bundestag am 27.03.2015 mit den Stimmen der Großen Koalition das Vorhaben. Am 12.06.2015 wurden die entsprechenden Gesetze rechtskräftig, hier das wichtigste. Dem vorausgegangen war übrigens eine Auseinandersetzung mit dem Bundesrat über die Frage, ob das Gesetz zustimmungspflichtig wäre. Und da hat die Bundesregierung gewonnen: Die Pkw-Maut benötigt keine Zustimmung des Bundesrates.

Das beschlossene Konzept sieht grob formuliert wie folgt aus:

  • Halter von in Deutschland zugelassenen Kfz zahlen quasi identisch zur Kfz-Steuer eine Pkw-Maut abhängig von Treibstoff, Hubraum und Schadstoffemissionen. Die Kfz-Steuer wird um genau diesen Betrag gesenkt, am Ende ein Nullsummenspiel.
  • Nutzer ausländischer Fahrzeuge zahlen die gleiche Pkw-Maut abhängig von Treibstoff, Hubraum und Schadstoffklasse für eine Jahresvignette. Zudem gibt es 10-Tages- und 2-Monats-Vignetten unterteilt nach drei Stufen, abhängig von der Jahresvignette.

Beispiel von der Website des Bundesverkehrsministeriums: Ein BMW 730d kostet bislang 391,00 Euro Kfz-Steuer und sollte dann 261,00 Euro Kfz-Steuer und 130,00 Euro Pkw-Maut kosten. Ein Halter eines im Ausland zugelassenen BMW 730d würde dann für eine Jahresvignette Deutschland auch 130,00 Euro Pkw-Maut bezahlen.

Warum dieser bürokratische Popanz? Ziemlich einfach: Eine Maut nur für ausländische Fahrzeuge würde dem EU-Recht widersprechen, weil es Ausländer schlechter behandelt.

 

Die EU sieht die Diskriminierung

Eine EU kann nicht jeden Blödsinn aufhalten. Aber sie kommt ins Spiel, wenn es um die Grundprinzipien geht. Der EU-Kommission reichten die bürokratischen Verrenkungen nicht. Sie leitete trotzdem ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Aus zwei Gründen:

  1. Die gleichzeitige Senkung der Kfz-Steuer sei eine indirekte Diskriminierung. Dadurch, dass man für Inländer zu 100 % identisch eine seit Jahren etablierte Steuer senkt, um für Ausländer eine Maut einzuführen, vermutet man wohl so etwas wie einen „Umgehungstatbestand“
  2. Die Preise für Kurzzeitvignetten seien zu hoch.

Der letzte Punkt verdient eine gewisse Erläuterung. Hier geht es um eine indirekte Diskriminierung. Vereinfacht: Wenn der Preis für eine 10-Tages-Vignette, die vor allem Ausländer nutzen, relativ zur Jahresvignette exorbitant hoch wäre, dann wäre das eine implizite Diskriminierung. Denn vor allem Ausländer*innen nutzen die Kurzzeit-Vignetten. Die Kommission hatte entsprechend erklärt, dass für die Gebühren der Pkw-Maut die „Wegekostenrichtlinie“ (Lkw-Maut) analog anzuwenden wäre. Dort heißt es in Art. 7 Abs. 8:

„Die Sätze der Benutzungsgebühren müssen im Verhältnis zu der Dauer der Benutzung der betreffenden Verkehrswege stehen.“

Beispiel: Für einen VW Polo würde man als Inländer*in pro Jahr 21,60 Euro Pkw-Maut zahlen. Das wären 6 Cent pro Tag. Für einen ausländischen VW Polo würden für eine 10-Tages-Vignette 5,00 Euro fällig, das wären 50 Cent pro Tag. Das ist etwa das 8,5-fache.

Was ist nun angemessen? Das ist schwer zu beantworten. Feste Sätze gibt es nicht. Es gibt nur Maut-Gebühren, die Brüssel einmal genehmigt hat.

 

Wie geht jetzt der Kompromiss mit der EU?

In den zwei von der EU kritisierten Punkten hat nun Verkehrsminister Dobrindt – pünktlich zum CSU-Parteitag – nach“gebessert“:

  1. Die Senkung der Kfz-Steuer soll nicht für jede/n Autobesitzer*in identisch sein mit der neuen Maut, sondern umweltfreundliche Fahrzeuge sollen besonders entlastet werden.
  2. Kurzzeitvignetten sollen billiger werden, um den „Teurer-Faktor“ zu senken.

So der kolportierte Kompromiss mit Brüssel. Dafür wären aber natürlich erst noch Änderungen der Gesetze notwendig. Ob das noch innerhalb dieser Legislaturperiode (politisch) möglich ist, bleibt abzuwarten.

 

Woran könnte es noch scheitern?

Nr. 1 könnte gegen den Koalitionsvertrag verstoßen, denn dort heißt es:

„… dass kein Fahrzeughalter in Deutschland stärker belastet wird als heute“

Oder aber es werden nur die Halter*innen umweltfreundlicher Fahrzeuge entlastet, die anderen aber nicht zusätzlich belastet. Resultat: Weniger Geld in die Kassen.

Nr. 2 bedeutet auf jeden Fall Einnahmeverluste.

Am Ende steht also, dass die Pkw-Maut mit dem sich nun andeutenden Kompromiss noch weniger Geld einbringen wird.

Es bleibt offen, wie die Koalitionspartner in Berlin reagieren. Denn der neue CSU-Kompromiss ist nicht durch den Koalitionsvertrag gedeckt. Und der Preis für die Pkw-Maut ist finanziell und politisch hoch. Wollen sie dieses Projekt, das vielleicht sogar zum Minusgeschäft wird, wirklich mittragen?

 

Die Pkw-Maut: Ineffizient, wirtschaftsschädlich, Datenkrake

Die Bundesregierung rechnete bislang mit Einnahmen der Gesamt-Maut für Inländer und Ausländer von 3,9 Mrd. Euro pro Jahr. 3,2 Mrd. Euro davon wären „umgelagerte“ Kfz-Steuer-Einnahmen. 700 Mio. Euro kämen demnach durch die ausländischen Kfz hinzu, minus 200 Mio. Euro Systemkosten, machte 500 Mio. Euro Mehreinnahmen pro Jahr. Für 700 Millionen Euro Mehreinnahmen 200 Mio. Euro Bürokratiekosten? Das ist eine grausige Quote. Und diese Zahlen sind schon optimistisch gerechnet.

Die Pkw-Maut bedeutet erhebliche wirtschaftliche Schäden gerade für Grenzregionen. Natürlich wird es für Niederländer unattraktiv, mal eben zum Shoppen nach Aachen zu fahren, wenn sie sich eine 10-Tages-Vignette kaufen müssen. Und dann auch noch die passende, abhängig vom Pkw-Typ. Man kann sich bildlich die Menschen vorstellen, die zuhause online oder am Grenzübergang mit der Zulassungsbescheinigung und deren Daten versuchen, ihre Pkw-Maut-Vignette auszudrucken.

Denn kontrolliert werden soll das ganze schon: In der Regel mit elektronischer Kontrolle wie bei der Lkw-Maut (auf der Autobahn meistens als „Brücke“) sollen die Kfz-Kennzeichen aller Fahrzeuge darauf gecheckt werden, ob die Halter*innen auch ja die Pkw-Maut bezahlt haben. Dafür werden sie mit der Datenbank abgeglichen. Ein extremer Aufwand. Und ein Datenschutz-Monster. Denn die Daten werden nicht sofort gelöscht, selbst wenn die Maut bezahlt wurde! Dann könnte man seine Pkw-Maut zurückverlangen, wenn man es nachweist. Damit der Staat das Gegenteil beweisen kann, werden „zur Sicherheit“ alle Erhebungen der Kfz-Kennzeichen gespeichert, bis man den Antrag nicht gestellt hat. Das können maximal 13 Monate sein. Ein wunderbarerer Datenpool für die Behörden.

Kriminalbeamte fordern ja schon, die Lkw-Maut-Daten zur Strafverfolgung zu nutzen, aber TollCollect hält sich relativ genau an die strengen Datenschutzregeln. Demnächst liegen dann die Pkw-Daten direkt in einer Bundesbehörde…

 

Die Zweckbindung heiligt die Mittel

Warum das Ganze? Steckt dahinter wirklich nur der CSU-Populismus in Sachen Ausländer*innen? Nein. Denn jetzt kommt die Zweckbindung ins Spiel: Die Pkw-Maut steht in direktem Zusammenhang zur Bundesfernstraßen-Gesellschaft.

Denn auch wenn der Gewinn durch ausländische Fahrzeuge nur bei 700 Mio. bzw. 500 Mio. Euro läge. Auch die Inländer-Maut wäre Einnahme der Pkw-Maut. Macht 3,9 Mrd. Euro Pkw-Maut-Einnahmen, netto 3,7 Mrd. Euro. Und diese Gesamteinnahmen fließen lt. Gesetz wohin?

§ 14
Abgabenaufkommen
Das Aufkommen aus der Erhebung der Infrastrukturabgabe steht unbeschadet des § 5a des Bundesfernstraßengesetzes
dem Bund zu. Ausgaben für
1. Betrieb, Überwachung und Kontrolle des Abgabensystems,
2. Erstattungen nach § 9 und
3. den im Zusammenhang mit der Infrastrukturabgabe entstehenden Aufwand bei der Kraftfahrzeugsteuerverwaltung
werden aus diesem Aufkommen geleistet. Das verbleibende Aufkommen wird dem Verkehrshaushalt zugeführt
und in vollem Umfang zweckgebunden für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur verwendet.

Das beträfe die vollen 3,9 bzw. 3,7 Mrd. Euro!

Und „Verkehrsinfrastruktur“, so kann man hier nur gut begründet mutmaßen, meint wohl „Straße“.

Dazu kommen 4,63 Mrd. Euro aus der Lkw-Maut, netto 3,5 Mrd. Euro, die heute schon komplett in den Bereich Straße fließen. Macht zusammen schon einmal 7,2 Mrd. Euro. Wird die Lkw-Maut wie geplant ab 2018 auf alle Bundesstraßen ausgeweitet, wären das ca. 2 Mrd. Euro pro Jahr mehr. Dann ist man bei 9,2 Mrd. Euro Mauteinnahmen. Im Haushalt 2016 stehen 8 Mrd. Euro für Bundesfernstraßen zur Verfügung.

Der verkehrspolitische Plan ist klar:

Die Mauteinnahmen von perspektivisch netto 9,2 Mrd. Euro sollen als „Gebühren“ komplett in die Straße, auch in den Neubau, fließen. Die bisherigen Haushaltsausgaben würden so ersetzt und die Mittel gesteigert. Alle beschlossenen Gesetze sind darauf angelegt, Lkw-Maut und Pkw-Maut zweckgebunden direkt einer Straßen-Gesellschaft zuzuweisen, welche Mauterhebung, Kontrolle und Verwendung der Mittel für die Straße selbständig regelt. Diese Rolle soll wohl die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft (VIFG) des Bundes übernehmen, sie wird zur Bundesfernstraßen-GmbH (mehr dazu hier).

Im Gegensatz zu Steuermitteln wie der Kfz-Steuer wären die Mauteinnahmen zweckgebunden und würden in Betrieb, Erhalt, Ausbau und Neubau von Straßen fließen, ohne einmal Gegenstand parlamentarischer Beratungen gewesen zu sein. Die Finanzierung von Verkehrsprojekten von Schiene, ÖPNV, Radverkehr, Wasserstraßen wäre so aus diesen Mitteln nicht mehr möglich. Der „Finanzierungskreislauf Straße“ entsteht, ökologisch gesehen ein Teufelskreis. Und dazu stellen die von Parlamentsbeschlüssen unabhängigen Mauteinnahmen eine perfekte Sicherheit für Kreditaufnahmen durch die Fernstraßen-GmbH dar, um überteuerte Kredite aufnehmen und ÖPP vorantreiben zu können.

Deshalb kann diese Pkw-Maut eben kein grünes Projekt sein. Es ist ein Projekt, das einen ökologisch und sozial falschen verkehrspolitischen Kurs der letzten Jahrzehnte fortsetzen und für die Zukunft zementieren soll. Diese Pkw-Maut schadet der Verkehrswende.

 

Wie weiter?

Es ist aus den oben ausgeführten Gründen zu hoffen, dass die Pkw-Maut doch noch scheitert. Am ehesten wäre es möglich, wenn die CSU-Koalitionspartner auf den Koalitionsvertrag pochen. Tun sie das nicht, dann könnten – selbst wenn die Maut erst ab 2018 kommen soll – noch vor der Bundestagswahl die notwendigen Gesetzesänderungen vorgenommen werden.

Unbestritten ist: Wenn die Verbrennungsmotoren wirklich sukzessive ihren Rückzug antreten, gehen für den Staat Einnahmen bei der Mineralölsteuer in zweistelliger Milliardenhöhe verloren. Deshalb brauchen auch wir GRÜNE perspektivisch ein Konzept, wie die Verkehrsinfrastrukturfinanzierung unabhängig von der Mineralölsteuer laufen kann. Dabei kann es auch eine Abgabe geben, die nicht wie jetzt vorgesehen pauschal entrichtet wird, sondern abhängig von den gefahrenen Kilometern. Aber sie müsste angemessen, sozial gerecht, unbürokratisch und datenschutzkonform sein und für alle Straßen gelten. Und sie müsste den Spielraum dafür lassen, dass Einnahmen zur Stärkung umweltfreundlicher Alternativen verwendet werden können. Das unter einen Hut zu bringen ist eine Herausforderung, der sich die GRÜNEN annehmen sollten.