In Paris wurde gerade die Welt gerettet – und jetzt?

„Das Wunder von Paris“ (SpOn), „Zeitenwende“ (Die Zeit – na klar), das Fernsehen zeigt weinende Konferenzteilnehmer, der Klimavertrag (http://unfccc.int/resource/docs/2015/cop21/eng/l09r01.pdf) ist beschlossen, die Welt ist gerettet, alles wird gut.

Christian Morgenstern hat einmal gesagt

„Wer vom Ziel nicht weiß, kann den Weg nicht haben, wird im selben Kreis all sein Leben traben.“

Und die Ziele sind nun die Begrenzung der globalen Erwärmung „well below 2 °C above pre-industrial levels and to pursue efforts to limit the temperature increase to 1.5 °C above pre-industrial levels“ und eine ausgeglichene Treibhausgas-Bilanz „in the second half of this century“. Und um das zu kontrollieren, soll es Klimaschutzpläne und alle fünf Jahre Fortschrittsberichte geben. Das alles ist dann gültig ab 2020.

Die Frage mag ja dann noch sein, wer von den ca. 200 Staaten da welchen Beitrag leisten wird, wer wieviel reduzieren oder nicht weiter wachsen soll. Da dürften sich die Inder und die Chinesen doch wieder etwas anders positionieren als Europäer und US-Amerikaner. Das alles in einem Prozess über die nächsten Jahrzehnte. Und hier sei die Anmerkung erlaubt, dass irgendwie doch alle wissen, dass Treibhausgase schlecht sind. Warum man nun überhaupt Zielvereinbarungen braucht, wenn doch eigentlich gelten sollte „je weniger desto besser“, erschließt sich erst auf den zweiten Blick.

Das Problem des funktionierenden Weltklimas als öffentliches Gut beschreibt Jürgen Kaube von der FAZ gut (http://www.faz.net/…/klimagipfel-willkommen-im-klima-klub-1…): Es ist das Trittbrettfahrerproblem. Wenn sich viele Staaten um ein intaktes Weltklima kümmern, warum soll mein Staat es dann auch tun? Und da die Staatenwelt Trittbrettfahrer nicht ausstehen kann, ließ man den Zug Richtung Klimawandelbekämpfung lieber gleich im Bahnhof und unterhielt sich über Route und Fahrplan, wenn man den fahren würde.

Das Neue am Klimavertrag von Paris – vorausgesetzt er tritt in Kraft – ist nun: Die Staaten schwören ganz ehrlich, dass sie keine Trittbrettfahrer sein werden sondern alle ihren Beitrag leisten werden, wie auch immer der aussehen wird. Ganz bestimmt. Dafür sind Fahrplan und Fahrpreise wiederum unklarer.
Nun, sicher, es ist ein Fortschritt. Wenn sich alle Staaten öffentlich dazu bekennen, dass es ein Problem gibt und dass sie es auch lösen wollen. Nur ohne verbindliche Sanktionen sind Verträge doch meistens Schall und Rauch. Denn laut den FAQ zum Pariser Abkommen (http://www.un.org/sustainablede…/…/the-paris-agreement-faqs/) sind die Sanktionen, ähm, nunja, eher moralisch:

“Frage: What happens if a country doesn’t live up to its commitments? Would there be any enforcement?
Antwort: Countries have every reason to comply with the terms of the Agreement. It is in their interest to implement the agreement, not only in terms of achieving the benefits of taking climate action, but also to show global solidarity. There is no benefit to flouting the Agreement. Any short-term time gain will be short-lived. It will undoubtedly be overshadowed by negative reactions, by other countries, financial markets, and most important, by their citizens.”

Okay, also wenn sich jemand nicht dran hält, dann wird es negative Reaktionen geben von anderen Staaten, den Finanzmärkten und den Bürgern. Ganz bestimmt. (Ooooh, die Finanzmärkte… gut, dass die separat aufgeführt werden. Immerhin die einzige Akteursgruppe mit Macht auf dem Planeten – vielleicht hat wenigstens das Drohpotenzial.)

Wie das mit so Zielvereinbarungen alles funktioniert oder nicht funktioniert erkennt man bei so erfolgreichen internationalen Vereinbarungen wie den „Millennium goals“ aus 2000, das 0,7-Prozent-Ziel der Entwicklungshilfe aus 1970 usw. Manchmal könnte man beim Blick auf solche globalen Ziele den Eindruck gewinnen, in der Wahrnehmung so mancher ist aus dem guten alten „think global, act local“ ein „act global und local wird dann auch schon irgendwie“ geworden.

Und das ist die eine Gefahr: Dass aus dem wertvollen internationalen Bekenntnis aller Staaten, dem gegenseitigen Vertrauen, eine Art politisch-rhetorisches Feigenblatt wird. „Es gibt ja den Klimavertrag, die Welt wird gerettet, also können wir das doch ganz ruhig angehen.“ Ulrich Beck hat das in Bezug auf Gleichstellung einmal „Verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre“ genannt. Und dann ist man wieder bei den nicht falschen Plattitüde von „Anspruch und Wirklichkeit“ und „Worten und Taten“, die auseinanderklaffen.

Und so ließe es sich auch erklären warum die USA mit Obama so super total voll für Klimaschutz sind und gleichzeitig fracken was das Zeug hält, oder die EU das Ziel ausgegeben hat den Luftverkehr deutlich zu steigern oder Deutschland einen Klimaschutzplan (http://www.bmub.bund.de/…/nationale-k…/klimaschutzplan-2050/) erarbeitet und gleichzeitig alten Braunkohlenmeilern lebensverlängernde Maßnahmen zukommen lässt und die Lkw-Maut senkt oder Brasilien weiter Regenwälder abholzt oder oder oder … Aber wir haben ja einen Weltklimavertrag, der das bis irgendwann auch richten wird.

Man kann ja Zweifel haben, ob es irgendjemand mitbekommen hat: Die Welt wird durch Geld und Machtinteressen dominiert. Und Finanzmärkte interessieren sich heute irgendwie ziemlich wenig dafür, ob in 50 Jahren irgendwelche Staaten irgendwie böse auf andere Staaten sind, weil die sich nicht an ein 50 Jahre altes Abkommen halten. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander, sowohl innerhalb von Staaten als auch zwischen Staaten. Kriege und Konflikte, oft ideologisch-religiös aufgeladen und verbrämt und genauso oft auch als Ausfluss materieller Interessenskonflikte nehmen zu statt ab. Die Verteilungskämpfe einer wachsenden Weltbevölkerung bei beschränkten Ressourcen nehmen zu. Ob sich angesichts dieser Rahmenbedingungen eine Erklärung des guten Willens über die nächsten Jahrzehnte halten kann, darf bezweifelt werden.

Und so bleibt das Abkommen doch nur eine Etappe. Ein verbales Bekenntnis mit strategischer Bedeutung, das aber noch keine Verhaltensänderung erzwingen kann. Wir brauchen die Implementierung abstrakter Ziele in funktionierende marktgerechte internationale Klimaschutzmechanismen, z.B. durch Strafzölle auf Produkte aus Staaten, die Abkommen nicht umsetzen (wieder Jürgen Kaube), oder einen globalen Emissionshandel (http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/06287.pdf). Und dies gepaart mit ehrlicher globaler Partnerschaft und Entwicklungsperspektiven durch Teilhabe für alle Staaten abseits der klassischen Entwicklungshilfe. Wenn so etwas eines Tages kommt, dann wird das ein ganz großer Tag fürs Weltklima und die Menschheit sein.

So oder so gilt: Der stete Kampf für mehr Klimaschutz gegen Partikularinteressen und wirtschaftliches Handeln zulasten folgender Generationen ist hier – in der EU, in Deutschland – nach Paris genauso wichtig und anstrengend wie vor Paris: Verdammt wichtig und verdammt anstrengend.